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18.03.2021

Reklamation oder Chance?

Sind Reklamationen tatsächlich Chancen? Überlässt man sie dem Zufall, dann ähnelt es dem Russisch Roulette. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, wie es besser geht.

Zahlreiche Thesen besagen, dass Reklamationen Chancen sind. An Modellen, Instrumenten oder Prozessen mangelt es nicht. Jedoch versagt das Reklamationsmanagement oft genau dort, wo die Chance entsteht: beim Mitarbeiter. Was auf der Reklamationsprozess-Power-Point-Folie schön ausschaut, wird in der Praxis leider zu selten gut umgesetzt.

Im Sommer 2020 habe ich mich, während Dreharbeiten für ein Lernvideo, mit einem Mitarbeiter einer Bergbahn unterhalten. Er ist pensionierter Lehrer, begeisterter ‘Bähnler’ und arbeitet im Teilzeitpensum. Per Zufall sind wir beim Thema Beschwerden gelandet. Ich war positiv überrascht, wie professionell er auf heikle Situationen vorbereitet ist und über welchen Entscheidungsspielraum er verfügt.

Das beginnt bereits bei seiner Grundhaltung. Reklamationen versteht er als (kritische) Rückmeldungen. Da die negative Situation für die Gäste in seiner Umgebung entsteht, ist er eine der ersten Personen, welche sie ansprechen können. «Wenn etwas in unserer Dienstleistungskette schief läuft, will ich herausfinden was es ist, woran es liegt und wie es der Gast erlebt hat. Nur so können wir lernen und uns verbessern»,

Bei kleineren Reklamationen, dürfen die Mitarbeitenden Kaffee-Gutscheine verteilen, welche sie bei sich tragen. Bei grösseren Rückmeldungen, können sie Bahntickets, sprich Tageskarten einsetzen. Die Kompetenz und der Entscheid liegt bei den einzelnen Mitarbeitenden. Ich war kritisch und konnte mir nicht vorstellen, dass Gutscheine der heilige Gral für ihr Beschwerdemanagement sind. Deshalb fragte ich genauer nach. «Es geht nicht darum, Geschenke zu verteilen», entgegnete der sympathische ‚Bähnler‘. « Ein Kaffee- oder ein Bahngutschein sind mehr als Symbole zu verstehen und kompensieren weder den Fehler, noch machen sie den Gast automatisch zufrieden. Wichtiger sind mein ehrliches Interesse und die Art und Weise, wie ich den Kunden begegne. Mit der Kompetenz, situativ entscheiden zu können, und dem Vertrauen, welches mir mein Unternehmen schenkt, kann ich meine Verantwortung gut wahrnehmen und sofort und glaubwürdig reagieren.»

Obwohl das Unternehmen die Mitarbeitenden befähigt, um an Ort und Stelle aus Reklamationen Chancen zu kreieren, fehlte mir ein grosses Puzzleteil. «Wie stellt ihr sicher, dass die Mitarbeitenden, ohne voneinander zu wissen, nicht 50 Kaffeegutscheine für ein und denselben Fehler verteilen?», wollte ich wissen. Der freundliche Herr erklärte mir, dass der Mechanismus in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess integriert sei. «Wenn wir die Gutscheine retablieren, erklären wir unserer Führungskraft, in welchen Situationen und für welche Gäste wir sie eingesetzt haben. Das wird zusammengetragen, dokumentiert und dann nach Lösungen gesucht.»

Trotz eines langen Drehtags auf dem Berg gab es nichts zu reklamieren. Ich hätte das System gerne getestet, doch die Hilfsbereitschaft und die Dienstleistung waren rundum so gut, dass ich nicht weniger als ein grosses Kompliment aussprechen konnte.

Ein fröhlicher Gruss

Ralph Hubacher

 

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