„Ich bin kein Unternehmer, denn ich scheiterte zweimal.“ Die Aussage eines Seminarteilnehmers liess uns aufhorchen.
Der erste Tag ist geschafft. Zufrieden sitze ich mit den Seminarteilnehmern beim High Tea, sprich Kaffee und Kuchen. Wir sprechen über Erfolge, Misserfolge und die Lehren, welche wir aus ihnen zogen. Obwohl wir uns nicht lange kennen, herrscht eine vertrauensvolle Atmosphäre.
Ein junger, introvertierter IT-Spezialist erzählt von zwei gescheiterten Versuchen, ein Business zu etablieren. Als Unternehmer tauge er leider nichts, erzählt er uns mit gedämpfter Stimme und gesenktem Blick. Es folgt eine betretende Stille, Verlegenheit und eine peinlich berührte Zustimmung. «Nein, bist du nicht», lautet meine spontane Reaktion. Reichlich unreflektiert, muss ich zugeben. Doch manchmal höre ich einfach auf mein Herz.
Ich frage genauer nach und wir erfahren, dass er das erste Unternehmen als Student gründete, während Monaten Nacht für Nacht durchprogrammierte, bevor sein Cousin und Geschäftspartner die Lorbeeren der Arbeit einheimste. Sprich, ihn übers Ohr gehauen hat. Wer rechnet schon damit, von der eigenen Familie hintergangen zu werden. Das zweite Business war ein Franchise, welches sich als Flop herausstellte.
Bedeutet Scheitern eine mangelnde Qualifikation als Unternehmer? Nicht unbedingt. Wer nie scheitert, hat nichts versucht. Wer nichts riskiert, wird nichts gewinnen. Wer keine Entscheide trifft, taugt nicht zum Unternehmer.
Jede Geschäftsidee, egal ob gut oder schlecht, bringt in der Regel eine Vielzahl von Aufgaben mit sich. Manche erledigen sich leicht, andere bergen Risiken und einige führen zu schier unüberwindbaren Problemen. Das liegt in der Natur der Sache. Scheitern ist nie das Ziel, doch ein mögliches Szenario. Es gibt unzählige Gründe, weshalb ein Projekt oder eine Idee ohne Erfolg bleibt. Vielleicht fehlen die klaren Zielsetzungen? Möglicherweise sind die Erwartungen unrealistisch? Eventuell mangelt es an Ressourcen wie Zeit, Geld oder Arbeitskräften? Allenfalls ist der Zeitpunkt der Idee falsch. Unter Umständen ist die Kommunikation nicht gut genug? Womöglich fehlt genügend Knowhow?
Sherpa Tenzing benötigte sieben Anläufe, um als erster Mensch den Mount Everest zu besteigen. Peggy Whitson, die erste weibliche Kommandantin der Internationalen Raumstation (ISS), bewarb sich während zehn Jahren als Astronautin, bevor sie den Job erhielt. JK Rowling’s Harry Potter fand einen Verlag, nachdem das Manuskript zwölf Mal abgelehnt wurde.
Mir gefällt in dem Zusammenhang das kleine Wort ‘noch’. Zwischen der Aussage, ‘Ich habe es nicht geschafft’ und ‘ich habe es noch nicht geschafft’ liegen Welten. Es verändert nicht nur den Blickwinkel, sondern die Haltung. Ich versuche ‘noch’ im Alltag bewusst einzubauen. Das gelingt mir, noch nicht so häufig, wie ich es mir wünsche.
Zwei Tage nach dem Seminar bin ich mit einem Kollegen auf einem Hike am Hudson River. Ich muss schmunzeln, als das Giant Stairs Schild auftaucht; Sinnbildlichkeit in Perfektion. Es scheinen offenbar zahlreiche Risiken und Gefahren auf uns zu lauern. Der Weg entpuppt sich als knifflige, vor allem aber spassige Felspassage. Bloss vom Spass stand nichts auf dem Schild.
Ein fröhlicher Gruss
Ralph Hubacher
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