Island hat mich in den Bann gezogen. Die raue, ungezähmte Schönheit der Natur. Menschen, die auf den ersten Blick kühl wirken und dann mit Herzlichkeit überraschen. Wir waren mit dem Auto auf der Landstrasse unterwegs nach Akureyri, als meine Partnerin begann eine Geschichte zu erzählen.
Sie kennt die Insel und ihre Menschen gut – zwei Semester an der Universität in Reykjavik, drei Sommer auf einem Bauernhof im Norden. Freundschaften, die geblieben sind.
Bauer Einar lebte seit seiner Kindheit auf dem elterlichen Hof – für ihn war das kein Ort, sondern Heimat. Als er die Milchfarm vom Vater übernahm, erfüllte sich ein Traum. Die Arbeit mit Tieren und der Natur; für ihn gab es nichts Anderes. Es war im Winter, als ein Schneesturm aufzog. Nichts Aussergewöhnliches auf Island. Als der Wind immer heftiger wurde, zog Einar eine Jacke über und marschierte zum Stall, der knapp 100 Meter entfernt war. Er wollte kurz schauen, ob es den Tieren gut ging. Der Sturm wurde innerhalb weniger Minuten gnadenlos – Whiteout! Er schloss die Tür zum Stall hinter sich zu und lief in Richtung Wohnhaus los. Genauso, wie unzählige Male bevor. Doch er kam nie an.
Die Geschichte liess mich schaudern und machte mich betroffen. Sie liess mich nicht mehr los.
Als mir kürzlich ein Manager, dessen Firma eine heftige Transformationsphase durchläuft, berichtete, dass er seinen Job liebt, seine Mitarbeiter ihm sehr wichtig sind, er sinnbildlich jeden Quadratzentimeter seiner Abteilung kennt und sich trotzdem wie in einem Whiteout fühle – orientierungslos und unsicher, erinnerte mich das unwillkürlich an Bauer Einar. Obwohl, die Tragik seiner Geschichte entzieht sich einem direkten Vergleich.
In einer Welt voller Unschärfen, Komplexität und schnellen, heftigen Veränderungen wird das Aushalten von Unsicherheit und paradoxen Situationen zu einer Schlüsselfähigkeit für Leader. Führung bedeutet heute nicht mehr, immer die richtige Antwort zu haben, sondern mit offenen Fragen umgehen zu können. Es braucht innere Standfestigkeit, wo die äusseren Bedingungen schwanken. Klarheit im Denken, wo keine Klarheit in den Umständen herrscht.
Ein fröhlicher Gruss, Ralph Hubacher