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12.06.2025

Skilift-Anbügler ‚Fränz‘

Fränz sah aus wie alle anderen. Und doch war er anders. Also sprach ich ihn an.

Skifahren war unser Familiensport. In einer Zeit, in der es selbst in tieferen Lagen noch reichlich Schnee gab, verbrachten wir fast jedes Wochenende auf der Piste; in den Ferien sowieso.

In dicke Jacken eingepackt, mit wettergegerbten, zerfurchten Gesichtern, buschigen Bärten und oft eine schief im Mundwinkel steckende Zigarre – so standen sie da. Die Skilift-Anbügler. Sie sahen nicht nur gleich aus, sie verhielten sich auch gleich. Mienen wie aus Stein, wortkarg, reichten sie die Bügel mit mechanischer Präzision. Ein „Grüezi“ wurde maximal mit einem Knurren erwidert – wenn überhaupt.

Doch einer war anders. Äusserlich kaum zu unterscheiden von seinen Kollegen. Doch wer sich ihm näherte, spürte sofort: Gute Laune. Und die steckte an. Alt oder jung – niemand blieb unberührt von seiner heiteren Art.

Ich konnte mir keinen Reim machen. Er übte doch dieselbe Tätigkeit aus. Stand von neun bis sechzehn Uhr in der Kälte und reichte Bügel an eine nicht enden wollende Kette von Skifahrerinnen und Skifahrern.

Später traf ich ihn zufällig im Dorf. Vielleicht war es der Jugend geschuldet, ich war noch ein Kind, dass ich ihn ansprach. Fragte, warum er diese monotone Arbeit mit solcher Freude machte.

„He, junger Mann“, sagte er, „das erzähl ich dir gern. Ich heisse Fränz. Eigentlich bin ich Bauer, im Sommer mit dem Vieh auf der Alp. Das Leben dort ist streng und einsam. Ich sehe wochenlang kaum einen Menschen. Hier trinke ich morgens mit den Kollegen Kaffee, und nach der Schicht gibt’s oft noch ein Bier, bevor ich heim zum Abendessen gehe.

Ich bin ausgebildeter Mechaniker und deshalb auch für die einfache Wartung des Lifts zuständig. Ich mag das – Schrauben, die Anlage Instandhalten, kleine Störungen selbst beheben.

Solange hier alles läuft, redet mir hier keiner rein. Ich muss nur dafür sorgen, dass der Lift pünktlich öffnet und am Schluss eine Pistenkontrolle machen. Der Rest liegt bei mir. Meine Verantwortung – meine Entscheidung.

Und weisst du was? Ich verrat dir zum Schluss ein kleines Geheimnis: Ich gebe jedem Gast den Bügel ein bisschen anders. Einer älteren Dame halt sanfter als zwei jungen sportlichen Skifahrern. Und ich hab immer einen Spruch, ein Witz oder wenigstens ein freundliches Wort parat. Ich will, dass jeder mit einem Lächeln losfährt. Über die Jahre kommen sogar Gäste aus dem Ausland extra wieder her und bringen mir Spezialitäten aus ihrer Heimat mit. Sag selbst – was will man mehr?»

Es hat über dreissig Jahre gedauert, bis ich wirklich begriffen habe, was Fränz mir damals mitgegeben hat.

Ich erzähl’s Ihnen im nächsten Blog.

Ein fröhlicher Gruss, Ralph Hubacher

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