Es dauerte noch drei Monate bis zur Abschlussprüfung. Die Zeugnisse waren genügend, aber weit weg von gut. Mein Chef, Typ Buchhalter der alten Schule, sagte nur trocken: „Das schaffst du nie! Du bist zu schlecht.“ Was dann passierte, war erstaunlich…
Ganz ehrlich, vermutlich lag mein Chef nicht komplett falsch. Ziemlich sicher hätte ich mich, damals ein 16-jähriger Teenager, nicht eigestellt (hatte er auch nicht, ich wurde ihm ‚aufgezwungen’). So oder so, wir waren und wurden nie dicke Freunde.
Zu Beginn der Kaufmannlehrzeit frage er, welche Prüfungsnote ich anstrebe. Da mir das so ziemlich egal war, gab ich eine 5.0 (entspricht in Deutschland einer 2.0) an. Ich wusste, dass er damit zufrieden ist und für die nächsten Jahre ruhe gab. Dumm nur, drei Monate vor dem Examen einen Schnitt von 4.2 zu haben. „Seit 27 Jahren bin ich Lehrmeister und noch keiner war jemals über eine halbe Note besser oder schlechter als sein Durchschnitt aus den Zeugnissen. Es besteht die Chance, dass du durchfallen wirst. Die 5.0 schaffst du nie“, sagte er in einem süffsanten, oberlehrerhaften Tonfall. Blöder alter Sack, waren meine ersten Gedanken.
Bis heute weiss ich nicht, ob das es Absicht war, aber er hat meinen Ehrgeiz angestachelt. Die Trigger waren operfekt gesetzt, denn ich paukte in 3 Monaten quasi den Schulstoff von 3 Jahren und schloss tatsächlich mit der Note 5.0 ab. Nicht weil ich klüger geworden bin, sondern schlicht zum Trotz. Die Reaktion des Chefs auf die Abschlussnote war sehr verhalten. Vermutlich passte es ihm nicht in den Kram, seinen 27-jährigen Glaubenssatz zu verändern (und das ausgerechnet noch wegen mir, dem Enfant Terrible).
Zu dieser Zeit war ich ein ausgeprägter Gegenbeispielsortierer. Ich habe einfach nie das gemacht, was mir aufgetragen wurde. Immer suchte ich einen anderen Weg. Im Geschäftsleben sind Gegenbeispielsortierer manchmal äusserst anstrengend, aber auch Gold wert. Innovationen und grosse Dinge entstehen weder in der Komfortzone, im Alltagstrott noch im Mainstream.
Wer Gegenbeispielsortierer richtig anstachelt, kann aus ihnen unglaubliches herausholen. Doch Vorsicht. Falsch eingesetzt führt es zu Demotivation bis hin zum Gefühl von verletzt oder angegriffen worden zu sein. Man muss Menschen schon ganz gut einschätzen können, bevor man eine Aussage wie‚ ‚ich bin nicht sicher, ob du das schaffen wirst’ einsetzt.
Übrigens: Welche Person stacheln Sie als nächste an?