Chinas Marktpotenzial ist nach wie vor gigantisch. Auch wenn das Wachstum bei ‘nur’ 7 Prozent liegt (die Eurozone liegt bei 1.3%), das Internet nach wie vor zensuriert ist und die Antikorruptionskampagne der Regierung viele zahlungskräftig Kunden vorsichtig agieren lässt. Dem gegenüber stehen eine Milliarde Menschen, ein wachsender Mittelstand und vor allem eine junge, offene und lernfreudige Generation.
Eine Marke im chaotischen chinesischen Markt aufzubauen ist sehr anspruchsvoll. Im exklusiven Interview verrät uns die China-Kennerin und preisgekrönte Journalistin Barbara Lüthi Insiderwissen aus Chinas Markenwelt. Barbara Lüthi war während 8 Jahren China-Korrespondentin des SRF und hat für ihre mutigen Reportagen den CNN Journalist Award erhalten.
Ralph Hubacher: Viele Unternehmen überlegen sich in China Fuss zu fassen oder sind gerade dabei in den Markt einzutreten. Was ist wichtig, wenn man in China eine Marke etablieren will?
Barbara Lüthi: Wichtig ist wie auch bei der Unternehmensgründung ein langer Atmen und fundierte Kenntnisse des lokalen Marktes und der Konsumenten. Damit sich eine Marke etablieren kann muss man sich dem kulturellen Konsumentenkodex anpassen. Die wahrgenommene Qualität und Verlässlichkeit einer Marke spielen eine grosse Rolle. Dabei hat die Schweiz gute Vorrausetzungen, denn Swissness wird mit guter Qualität und Vertrauen gleichgesetzt. Wenn es einer Marke gelingt, sich den sehr eigenen Konsumentenbedürfnissen anzupassen, bietet China traumhafte Wachstumsmöglichkeiten. So musste zum Beispiel der schwedische Möbelhersteller IKEA am Anfang mit Erstaunen feststellen, dass chinesische Konsumenten die Ausstellungshallen als Ausflugsort nützen. Am Wochenende ist IKEA voller Familien, die picknicken, schlafen und fernsehen. IKEA hat auf dieses Bedürfnis reagiert, lässt die Leute verweilen, bietet morgens gratis Kaffee in der Kantine an, und wächst in China unaufhaltsam weiter.
Welchen Stellenwert haben Marken in China? In der westlichen Welt läuft ohne einen guten Brand ja kaum mehr was.
Einen grossen Stellenwert. Chinesische Konsumenten haben ein Bewusstsein für westliche Marken entwickelt. Allerdings ist das Markenverständnis an bekannte Marken gebunden, die mit Prestige verbunden werden. In China sind Marken Status. Wer eine neue Marke etablieren will, muss auf einen existierenden Trend setzen und mit dem vorhandenen Konsumentenbedürfnis wachsen. Wie zum Beispiel Claudia Masüger, die mit ihrem Brand Cheers – einer Weinhandlung – das Bedürfnis der chinesischen Konsumenten nach zahlbarem, gutem ausländischen Wein abdeckt.
In einem Bloomberg hiess es, dass Chinesen nicht besonders loyal gegenüber Marken sind und diese häufig wechseln. Westliche Marketer bringt das fast zum verzweifeln. Die Aussage scheint etwas verallgemeinert zu sein, besonders in einem so grossen Land mit so unterschiedlichen soziodemographischen Faktoren. Wie beurteilst du die Loyalität der Chinesen gegenüber Marken?
Chinesen sind sehr experimentierfreudig. Es gibt die grossen Luxusbrands, denen sind Chinesen schon länger treu. Aber gegenüber neuen, kleineren Marken fühlt sich der Konsument in China nicht wirklich verpflichtet, wenn ihm nicht ein aussergewöhnliches Shoppingerlebnis geboten wird. Die Bindung an eine Marke ist in China weit weniger ausgeprägt als in entwickelten Industrieländern. Eine langfristige Markenbindung ist in China erst in der Entwicklung. Die chinesischen Konsumenten sind da sehr pragmatisch: bietet jemand die selbe oder ähnliche Qualität zu tieferen Preisen, wechseln sie die Marke.
Nicht zu leugnen sind die Copycats, die “Shanzai”, welche alles schamlos kopieren. Wie soll man damit umgehen?
Wer in China koopiert wird, sollte eigentlich stolz sein. Es ist ein Kompliment und heisst, dass man eine Marke, ein Konzept hat, dass in den Augen der Chinesen funktioniert. Verhindern kann man es nicht, Gerichtsprozesse sind anstrengend und langatmig und als Ausländer hat man keine guten Chancen zu gewinnen. Man muss versuchen immer einen Schritt voraus zu sein. Innovative Konzepte und Inhalte können nicht kopiert werden.
Wer in einem westlichen Land eine Marke aufbauen will, der beschafft sich zuerst mal Marktdaten. Wie transparent ist der chinesische Markt? Gibt es verlässliches Material oder sollte man sich von Beginn weg auf ‘Try & Error’ einstellen?
Egal, bei welchem Thema, ich habe es während meinen acht Jahren in China als grösste Herausforderung empfunden genaue Daten zu erhalten. Für Journalisten ist das eine der grössten Herausforderungen. Marktdaten sind nicht wirklich verlässlich, man muss sich dem zufrieden geben, was publiziert wird. Einblicke gibt es durch Insider und über Beziehungen, die man lange aufbauen muss.
In einer Studie über den chinesischen Markt stand geschrieben, dass man China aus der chinesischen Sicht betrachten muss, ohne die eigene Herkunft zu vergessen. Ist das die Quadratur des Kreises oder lässt sich das konkreter erklären?
Es ist genau so. Und wenn man in China lebt, ist auch klar, was damit gemeint ist. Man muss sich China anpassen, China versuchen zu verstehen, aber seine Wurzeln, seine Art Business zu machen auch einbringen. Die richtige Kombination wird zu Erfolg führen. Das alles hört sich theoretisch an, wenn man nicht in China lebt.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Welches war während den 8 Jahren in China deine Lieblingsmarke?
Ich hatte keine Lieblingsmarke in klassischen Sinn. Ich schwörte auf den Brand „Tapian“ – eine Massage/Spa- Kette, die es in ganz Peking gibt. Nicht weil das Marketing oder die Werbung so gut war, sondern weil von diesem Brand wusste, dass er für Qualität steht und ich bei keine Fussmassage enttäuscht wurde.
Danke für deine Zeit und die spannenden China-Insights, Barbara.
Was nun? Es ist hinlänglich bekannt, dass China ein schwieriger Markt sind. Viele Unernehmen haben sich ein blaues Auge geholt, Verluste eingefahren oder sind gar gescheitet. Nicht weil ihnen die Marktdaten und Know-how von Spezialisten gefehlt hat, sondern weil sie die Chinesen schlicht (und zwar nicht primär sprachlich) nicht verstanden haben. Nur ganz wenigen ist es gelungen, eine Marke in China aufzubauen. Und wer das geschafft hat, darf zuversichtlich in die Zukunft schauen. Denn die Musik von Morgen spielt in China.
Doch wie positioniert man eine Marke in China? Wie gelingt gute Markenkommunikation? Was tun wir mit Copycats?
Brandhub bietet zusammen mit der erfolgreichen Schweizer Unternehmerin Claudia Masüger einen massgeschneiderten Workshop Branding in China an. 2008 kam Claudia Masüger mit einem Koffer voller Weinmuster in China an. Heute hat sie 90 Mitarbeitende, 14 Stores und eine B2B Company. Die Marke CHEERS Wines ist so erfolgreich, dass ihr Store Nummer 8 in einem Umkreis von 500 Meter ganze 5-mal kopiert wurde. Auch das ist China.
Im nächsten brandNEWS: Innovation Branding. Warum die Innovationsflagge in vielen Unternehmen nur auf Halbmast weht.