Erst die wirklich verrückten Menschen bringen einem auf ganz neue Gedanken. So war es am Sonntag in Montreux. Miha Pogacnik, Stargeiger (unter dem Spitznamen ‘Teufelsgeiger’ bekannt), kannte ich nur aus Erzählungen. Ihn aber live on stage zu erleben war ein ganz anderes Ding. Seine Leidenschaft und unbändige Energie kostete fünf dicken Filzschreibern das Leben, ein Flipchart knickte ein und um seine Violine (welche ein Vermögen von mehreren Rolls-Royce kostet) machte ich mir zeitweise echte Sorgen.
Miha Pogacnik stellt die Maslowsche Bedürfnispyramide auf den Kopf. Plötzlich steht die Selbstverwirklichung ganz unten – für ihn als Künstler das normalste der Welt. Während für Marken ‘exzellent sein’ das Ziel ist, stellt Exzellenz in der Kunst den Anfangspunkt dar. Fakt ist, dass eine exzellente Marke nur Durchschnitt ist, weil es alle anderen auch sind (zumindest auf dem Papier). Künstler streben nach Genius, sie wollen das Unmögliche erreichen.
Obwohl Spitzenbrands durchaus als Kunstwerk betrachtet werden können, spielt Kunst im Business kaum eine Rolle. Ausdrücke wie Kreativität, Innovation oder Orchestrierung stammen zwar aus der Kunstwelt, werden in Unternehmen auch häufig eingesetzt, einfach ohne Bewusstsein dafür. Doch Business, speziell Brands, und Kunst liegen noch viel näher als man denkt.
Eine Marke bringt es dann zur Meisterschaft, wenn Menschen in eine Art Staunen versetzt werden. Ähnlich wie ein grosses klassisches Musikstück, das einem in den Bann zieht. Man hört es sich unzählige Male an und trotzdem weiss man am Schluss nie, wo die Zeit geblieben ist. Das funktioniert aber nur, wenn (Marken)Kunst auf ganz hohem Niveau stattfindet. Meisterschaft ist kein Zufall, sie entsteht durch Disziplin und der Hingabe dazu.
Kunst und Markenführung haben aber noch mehr Gemeinsamkeiten. So spielt ein Künstler, der ein Meisterwerk erarbeitet, es nicht nur einmal durch, sondern lebt jahre- oder jahrezehntelang damit. Ganz egal, in welchem Prozess des Spielens er sich befindet, stets hat er das Ganze präsent. Das ist eine Fähigkeit, die in der Markenführung von grösster Bedeutung sein kann – nämlich wenn man die Marke bewusst entwickelt. ‘Business as usual’ hat dann keinen Platz.
Miha Pogacnik ist übrigens ein Kontrollfreak; im positiven Sinn. Er hat die absolute Kontrolle über das war er tut – so sehr, dass er sie gar nicht mehr beachten muss. Mit dieser Sicherheit ist es für ihn möglich, offen für eine inspirierte Ausführung zu sein. Die Parallele zur Markenwelt hat mich auch hier verblüfft. Wer beispielsweise das bestehende CD/CI nicht im Griff hat, kann seine Marke schlecht ins richtige Licht rücken. Oder etwas weiter gefasst, wer seine Brand Values nicht beherrscht, wird sie nie leben können.
Wenn Maslow auf dem Kopf steht, dann beginnt Art in Branding. Dabei soll man einerseits das grosse Bild im Auge behalten und andererseits ganz sachlich Schritt um Schritt einleiten. Wenn man diese beiden Säulen beachtet, erreicht man Polarität, die gesteigert werden kann. Doch Ideen alleine reichen nicht – es muss auch vom Herzen, mit Gefühl gesteuert werden. Doch das Marketing konzentriert sich meist lieber auf Denken und Tun. Kein Wunder, dass viele Marken nur excellent sind und kaum welche das Unmögliche erreichen.