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08.08.2024

Die Horror Aprikose

Angesäuert und genervt steht sie da, die Kundin am Selbstcheckout. Die Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen. Die Zähne sind aufeinandergebissen. Es brodelt förmlich in ihr. Da entdeckt sie die Aufseherin der Kassenstationen. Ich stehe an der Kasse gegenüber und erahne ein scheinbar unausweichliches Schauspiel.

Der Tonfall ist scharf. Für mein Gutdünken zu scharf. So beordert sie die nichtsahnende Mitarbeiterin an den Check-out. Die wenigen Schritte zur Kundin reichten aus, um bei Supermarkt Angestellten ein Oscar würdiges Wechselspiel an Stimmungen zu erzeugen. Von Teilnahmslos zu interessiert über zurückhaltend bis alarmiert. Je näher sie kam, desto stärker baute sie ein Abwehrdispositiv auf.

«In der Aprikosenschale liegt eine faule Frucht» bemängelt die Kundin und streckt das verdorbene Exemplar gut sichtbar in die Höhe. Auf wirkt es, als wäre sie die Staatsanwältin in einer amerikanischen Gerichts-Serie und wolle mit dem Beweisstück die Jury überzeugen. Die Antwort der Verteidigung, hier in Form der Mitarbeiterin, ist grossartig: «Da kann ich doch nichts dafür».

In der Zwischenzeit wird das Publikum zahlreicher und schaut dem Stück, das die Qualität eines Laienschauspiels gewinnt, gebannt zu.

«Das meinte ich nicht. Ich wollte Sie einfach darauf hinweisen. Es kam in der letzten Zeit häufiger vor, dass faule Früchte in den Schalen waren.» «Sie müssen die Schale nicht nehmen, holen Sie sich doch einfach eine neue.» «Das meinte ich nicht. Ich wollte Sie einfach darauf hinweisen. Bisher habe ich es erst zuhause gemerkt, dann war es zu spät.» «Sie hätten die Schale aber jederzeit beim nächsten Einkauf austauschen können, das wäre kein Problem gewesen.»

Den Rest der Story erspare ich ihnen, nicht aber ein paar Gedanken zum Theater an der Kasse:

  • Weshalb werden Mitarbeitende, in diesem Fall war es offenbar, nicht professionell und konsequent auf solche Situationen vorbereitet? Es ist einzig eine Frage der Zeit, bis ein reklamierender Kunde vor einem steht… da will man gewappnet sein. Selbst Stand-up Künstler stehen nicht einfach so auf die Bühne, ohne sich gut vorzubereiten.
  • Die Reaktion auf genervte, gestresste Kunden ist zu häufig Abwehr oder Gegenangriff. Beides ist nicht zielführend. Gegen Charme hingegen, kann sich niemand wehren.
  • Kaum einer kennt die Vorgeschichte, weshalb Kunden reagieren wie sie reagieren. Angriffe sind, Ausnahmen ausgenommen, selten persönlich, können in der Hitze des Gefechts jedoch persönlich werden. «Ausgerechnet, das ist ärgerlich. Es tut mir leid, dass eine faule Frucht in Ihrer Schale ist. Ich bitte Sie um Entschuldigung. Darf ich Ihnen eine frische Schale holen?» Mit einer solchen oder ähnlichen Reaktion wäre der Fall vermutlich erledigt gewesen und der Puls der Kundin rasch in den normalen Bereich gesunken. Die Anmerkung auf die wiederholten Vorfälle wären keinem Angriff gleichgekommen, sondern als Feedback und Hilfeleistung auf ein offensichtliches Problem in der Qualitätskontrolle verstanden worden. Kunden wollen helfen, wenn man sie nur lässt.
  • Kunden die Reklamieren sind Gold wert. Der zweitschlechteste Fall sind Kunden, die nichts sagen und nie mehr kommen. Noch schlimmer sind Kunden die Ihnen nichts sagen, nie mehr kaufen und das negative Erlebnis mit allen anderen Menschen im ihrem Umfeld teilen.

Klar, aus dem Publikum lassen sich leicht Tipps geben. Steht man selbst auf der Bühne, ist’s anspruchsvoller. Genau deshalb ist es zieldienlich, sich und sein Team auf knifflige Situationen vorzubereiten.

Ein fröhlicher Gruss, Ralph Hubacher

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